W-Worte für düstere Augenblicke

„Nichts gewinnt so sehr durch das Alter wie Brennholz, Wein, Freundschaft und Bücher.“ Weise Worte von Francis Bacon. Schade, dass das für mein Gesicht nicht  zutrifft. Nach Nächten, die nicht wegen rauschender Feste, sondern durch viel Arbeit sehr kurz waren, erschrecke ich mich am Morgen regelrecht vor meinem Spiegelbild. Vor allen Dingen, wenn die Haare noch nicht gekämmt sind, fällt mir nichts anderes ein als „wallala, weiala weia“ zu jammern. Das passt dann genau zu meinem Aussehen. Dieses Wortgewirr habe mir nicht ausgedacht, sondern bei Richard Wagner geklaut.

Es stammt aus “Rheingold“, der ersten Oper aus dem Ring der Nibelungen. Dort lässt Wagner drei Rheintöchter auftreten. Aus dem Munde einer dieser Schönen kommt das an das Rauschen von Wellen erinnernde Wortgewirr: „Weia! Waga! Woge, du Welle,  walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala, weiala weia!“ Diesen ganzen Text fehlerfrei hinzubekommen ist schon eine Leistung. Doch bei einer Aufführung im Jahre 1876 wurden die in Korsetts eingeschnürten Opernsängerinnen von einer Mechanik, die Wellen auf der Bühne simulierte, so durchgerüttelt, dass sie diesen Text modifizierten zu: „Weia! Oweia! Waglaweia! Wenn’s no lang dauert, muss i speia.“

Es gibt noch ein Wortungetüm mit W, auf das ich ein Auge geworfen habe. Noch bin ich am Üben, aber bald werde ich es benutzen. Nicht morgens vor dem Spiegel, sondern wenn ich am Schreibtisch sitze und wieder einmal durch eine telefonische Umfrage gestört werde. Weil mir Höflichkeit anerzogen wurde und Mitleid bei mir stark ausgeprägt ist, lege ich nicht gleich auf. Aber so wie man den gut geschulten Befragern den kleinen Finger reicht, klauen sie einem eine ganze Hand voller wertvoller Zeit. Mit diesem ungewöhnlichen Wort mit W könnte das anders werden. Ich kenne es von Karl Valentin, einem Komiker aus Bayern, der übrigens eng mit Brecht befreundet war. In einem Sketch spielt Valentin einen Radfahrer, der sich statt einer Klingel eine Autohupe ans Fahrrad montiert hat und noch etliche nicht vorschriftsmäßige Dinge.  Ein dienstbeflissener Schutzmann stoppt den Mann und will seinen Namen wissen. „Wrdlbrmpfd“ antwortet der Radfahrer. Ich übe diesen Namen bereits einige Zeit und kann ihn nun schon fast so gut wie Valentin aussprechen. Demnächst werde ich mich bei Umfragen so vorstellen. Ich hoffe, lästige Anrufer verhalten sich dann genauso wie der Schutzmann und suchen sofort das Weite.

(Aus meinem Buch „Wundersames Leben – Kolumnen 2011“, S. 25)

März 2019