Reden ist goldrichtig

„Wenn ich den Martin zu Bett gebracht habe, musste ich sein Mundwerk extra ins Bett bringen. Sonst hätte er immer weiter gequatscht.“ Das soll die Mutter des Kanzlerkandidaten der SPD gesagt haben.

Ich finde, dass Frau Schulz Glück gehabt hat mit so einem Kind. Ich hatte das auch mit meinem Kind. Als es noch klein war, hat es einmal auf dem Rücksitz des Autos 43 km ohne Punkt und Komma geredet. Dann kippte es um und schlief.

Mich begeistern noch immer Kinder, die kilometerlang reden können. Die Möglichkeit dazu gebe ich ihnen nach meinen Lesungen in Schulen stets, indem ich sie nach ihren Wünschen und Hoffnungen befrage. So erfuhr ich von einem kleinen Jungen, dass er sich zum Mittag außer Nachtisch nichts sehnlicher als noch einen Vortisch wünscht. Oft stellen die Kinder aber auch mir Fragen. Etwas mulmig war mir schon, als ein Mädchen mich einmal fragte: „Soll ich dir mal verraten, was meine Eltern nachts heimlich machen?“ Die Antwort lautete: „Die essen Chips.“
Kindern ist die Zunge noch nicht eingeschlafen. Wenn ich Paare in Gaststätten beobachte, scheint sie mir bei einigen von ihnen eingerostet zu sein. Sie reden keine Minute miteinander. Laut Statistik soll man nach sechsjähriger Partnerschaft im Durchschnitt täglich 10 Minuten miteinander sprechen. Und nach einem Streit sollen manche Paare tagelang gar nicht mehr miteinander reden.

Was das auslöst, wusste schon William Shakespeare. „Der Kummer, der nicht spricht, nagt leise an dem Herzen, bis es bricht.“

Also sollten wir eine Lanze fürs Reden brechen und das auch bei Tisch. Mit vollem Mund zu reden finde ich nicht so schlimm wie mit leerem Kopf. Ich habe schon so manchen Saal verlassen, wenn ich nach einer Stunde immer noch nicht wusste, was man mir sagen will und kein Ende abzusehen war. Die Reden bei einem Bankett von Vegetariern sollen nach Aussage von Mario Adorf nie lange dauern, weil man Angst hat, dass das Essen verwelkt.
Immer weniger wird auch die Anzahl der Telefonate in unserem Land. Laut Bundesnetzagentur geht das Telefonieren in Deutschland seit 2010 zurück. Auch ich trage dazu bei. Bevor ich einmal zum Hörer greife, versende ich lieber mehrmals eine WhatsApp.

Manchmal schreibe ich dann einen Satz, der Ehemänner oft in den Wahnsinn treibt, aber auf den meine Freunde erfreut reagieren. Der Satz lautet: „Wir müssen mal wieder miteinander reden.“

April 2017