Socken und Schnuller

Einstein mochte keine Socken. Selbst wenn er Anzug trug, zog er sich oft keine an. “Wozu Socken?  Sie schaffen nur Löcher“, war seine Meinung.  Bei mir tun Socken das übrigens auch. Dennoch möchte ich sie behalten, was nicht leicht ist. Eine kluge Hausfrau, namens Lilo Keller, hat nämlich herausgefunden, dass die Waschmaschine das Bermuda-Dreieck der Socken ist. Warum auch Schnuller verschwinden, hat mir noch keiner erklären können.

Meine Tochter brachte mir kürzlich ihr Baby für sechs Tage und eine Handvoll Schnuller. Die Hälfte der Schnuller war zur Halbzeit wie vom Winde verweht. Mit großen Augen und mit einem, von den noch spärlich vorhandenen Schnullern im Mund, hat das Baby mir interessiert zugesehen,  wie ich auf allen Vieren durch die Wohnung gerobbt bin. Ich habe einen  Sektkorken unter der Couch, einen Ohrring unter dem Schrank und ein zerknülltes Papiertaschentuch in der Sesselritze gefunden, aber nicht einen einzigen Schnuller.

Das Baby kann noch nicht sprechen. Seine ersten Worte werden wohl nicht „Mama und Papa“ sein, sondern „Wo ist das verdammte Ding.“  Zu oft hat es diesen Satz gehört.

Als wir nach vier Tagen nur noch einen Schnuller hatten und ich befürchtete, dass auch dieser bald nicht mehr da sein wird, erinnerte ich mich an meine verschollenen Wimpernspiralen. Sie tauchten nach und nach wieder auf, sobald ich mir neue gekauft hatte. Bei meinen Wimpernspiralen klappte das bisher immer. Bei den Schnullern leider nicht.

Von den neu gekauften vier Schnullern waren drei im Nu wieder weg. Habe ich vielleicht ein hochbegabtes Enkelkind, das die Oma ein bisschen necken will? Ein Baby, das genau mitbekommt, wenn die Oma nur einmal kurz wegguckt und dann sofort den Schnulli verschwinden lässt. Ich habe das Kind ausgezogen, sein Bett und sogar die Windel durchsucht. Nirgendwo war ein Schnuller zu finden. Wo bleiben die verdammten Dinger? Lösen sie sich in Luft auf? Die Schnullerfee kann sie nicht mitgenommen haben. Die erscheint doch heutzutage erst, wenn das Kind schon lange laufen kann.

Nach einer Woche wurde das Baby mit dem einzig noch verbliebenen Schnuller wieder abgeholt. Als ich ins Bett gegangen war, ging irgendwann das Radio an. Laut verkündete eine Stimme: „Heute Socken im Hundertpack und Schnuller in Fünf- Kilo- Säcken im Angebot.“ Als ich den Namen des Supermarktes vernommen hatte, rannte ich los. Völlig außer Atem kam ich dort an. Überall lagen Berge von Geldscheinen, die von Mitarbeitern des Supermarktes gezählt wurden. „Wo, wo, wo sind die Schnullersäcke“,  rief ich. Eine Verkäuferin blickte kurz auf und sagte: „Alle weg.“ Ich wollte gerade einen Schreikrampf bekommen, doch da klingelte zum Glück der Wecker.

Mai 2016