In Napoleons Augen wäre ich ein Vollidiot. Er war nämlich der Meinung, dass ein Mann vier Stunden schläft, eine Frau fünf Stunden und ein Idiot sechs Stunden.
Ich brauche mehr Stunden als der Letztere, aber auch nicht so viele, wie manche glauben. Wenn ich Anrufe bekomme, weil man mich für eine Lesung buchen will, bin ich immer etwas pikiert, wenn kurz vor Mittag gefragt wird, ob man mich aus dem Bett geklingelt hat. Um 11.00 Uhr bin ich längst wach, aber nicht immer ausgeschlafen, weil auch ich manchmal ein Problem mit dem Einschlafen habe.
Ich zähle nachts keine Schafe mehr. Das hat mich zwar schon sehr weit gebracht, aber nie zum Einschlafen. Mir hat einmal jemand schmunzelnd gesagt: „Ich zähle immer bis drei, dann schlafe ich sofort ein, aber manchmal auch bis halb vier.“
So lange habe ich nie Schafe gezählt, aber bis dahin auch schon wach gelegen. Als Studentin war ich zu dieser Zeit oft noch gar nicht im Bett, aber auch nicht müde, weil ich in der Mathematikvorlesung vorgeschlafen hatte. Wenn der Professor erschien, sein hauchdünnes Stimmchen summte und die Kreide über die Tafel surrte, erging es allen auf den obersten Rängen des Hörsaals wie Dornröschen nach dem Stich an der Spindel. Wir schliefen zwar nicht 100 Jahre, aber eineinhalb Stunden tief und fest. Der Professor fehlt mir in meinen schlaflosen Nächten. Vor allen Dingen dann, wenn der Schlaf nur kurz einschaut. Ich bin mir sicher, dass man ihn austricksen kann, damit er bleibt. Mein Großvater litt nie unter Schlafstörungen auf dem Sofa, so lange der Fernseher nicht von seiner Frau ausgeschaltet wurde. Ich bekomme vor dem Fernseher kein Auge zu. Die wenigen guten Sendungen halten mich erstaunlich lange wach und die vielen schlechten Sendungen regen mich so auf, dass mir nicht einmal die Füße einschlafen. Von Baldriantropfen lasse ich meine Finger. Meine Großmutter benutzte sie nicht nur als Einschlafhilfe, sondern auch als ein Mittel, um sich völlig weg zu beamen. Sie lag wie ein Tote neben ihrem schnarchenden Mann im Ehebett. Ganz anders war die Wirkung von Baldriantropfen auf ihre alte, träge Katze. Der wurde damit ein längst verschollenes Temperament eingehaucht. Sie sprang wie ein durchgedrehter Ziegenbock über Tisch und Stühle, sobald sie an der Flasche geschnuppert hatte. Wer weiß, was dieses Hexenkraut mit mir machen würde? Vielleicht haut mein Schlaf dann für immer ab. Abgezählte Schafe und warme Socken kann er ja auch nicht leiden.
Aber letzte Nacht habe ich den Untreuen zum Bleiben überlisten können, indem ich erst etwas für Bauch, Beine und Po getan habe und danach etwas, was mir als Kind verboten wurde.
Nachdem nämlich drei Schokoriegel in meinem Mund geschmolzen waren und ich nicht aufgestanden bin, um mir die Zähne zu putzen, hielt mich der Schlaf ganz fest in seinen Armen und ließ mich nicht mehr los.
April 2016