Alles Gute kommt nicht von oben

„Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle…“ Und wirklich alle bekommen eine Darmverstimmung, wenn sie mein Auto erblicken. Es gibt Autos wie Sand am Meer in meiner Kleinstadt. Warum haben sie es gerade auf mein Auto abgesehen?  Wo immer ich auch parke, immer spielt sich das Gleiche ab. Die Autos rechts und links neben mir sind nicht einmal besprenkelt. Mein Auto ist nicht voll-, sondern zugekackt. Ich bin stets und ständig mit gefüllten Wasserflaschen, Schwämmen, feuchten Reinigungstüchern und Küchenkrepprollen unterwegs. Und wehe ich bin nach so einer Attacke an einem sonnigen Tag nicht rechtzeitig am Auto. Dann verhält sich der eingebrannte Vogelmist auf dem Autodach wie Kaugummi in der Tasche meiner Wolljacke nach der Wäsche.

Ich denke, dass es Spione unter den Vögeln geben muss. Einer von denen hockt in der Tanne vor meinem Wohnhaus und meldet allen seinen Kumpels: „Achtung, die Clemens fährt los. Ihr könnt wieder loslegen.“ Wohin ich auch fahre, niemals bin ich außerhalb ihrer Schussweite. Sie orten mich überall und beschmeißen mein Auto sogar während der Fahrt mit ihrem Mist. Wenn mein Auto sprechen könnte, dann würde es sagen: „Alles Gute kommt nicht von oben.“ Mein Auto kann nicht sprechen, sondern nur piep machen, wenn ich mich nicht anschnalle. Und es kann leider nicht laut peng machen, wenn es von einer Vogeleskorte begleitet wird.

Ich werde es nicht umspritzen und ihm keine grüne Farbe verpassen lassen, nur weil grüne Autos angeblich weniger unter Beschuss genommen werden als rote Autos. Ich werde es auch nicht in Klarsichtfolie wickeln, wenn ich irgendwo parke. Welch ein Aufwand wäre das? Aber wie schaffe ich es, dass ich die ganze Sache nicht mehr so pessimistisch sehe?

Ein Pessimist beklagt den Riss in der Hose, der Optimist freut sich über den Luftzug.

Ja, ich habe es tatsächlich geschafft, dass mich die Vögel nicht mehr fertig machen. Ich kann wieder ohne bitteren Beigeschmack singen: „Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle …“ Auch ich kann wieder „…lustig sein, lustig wie die Vögelein, hier und dort, feldaus, feldein, singen, springen, scherzen.“ Wie mir das gelungen ist? Ganz einfach. Wenn ich vor meinem beschissenen Auto stehe, dann sage ich mir: „Wie schön, dass Kühe nicht fliegen können.“

Juni 2016