Beim Bügeln höre ich gern Ravels Bolero. Das Bügeln macht dann zwar auch nicht mehr Spaß, aber es geht mir flotter von der Hand. Musikkenner, die behaupten, dass ein Stück, in dem sich zwei Melodien achtmal wiederholen, so langweilig wie Techno ist, können mir den Bolero nicht vermiesen. Und auch nicht Ravel selbst, der einmal gesagt hat: „Mein Meisterwerk? Der Bolero natürlich. Schade nur, dass er überhaupt keine Musik enthält.“ Für mich ist er Musik in meinen Ohren und – was für eine.
Selbst, als ich den Bolero einmal mit Mißtönen erlebte, wurde er mir nicht vergrault. Das war vor einiger Zeit im Theater. Zu Querflöte und Klarinette hatten sich bereits Fagott, Oboe und Trompete gesellt. Ich wartete gespannt auf den Einsatz der Saxophone. Dann klingelte ein Handy. In die Reihen kam Bewegung, denn Männer und Frauen griffen erschrocken in ihre Jacken bzw. Handtaschen. Das Handygebimmel übertönte fast das Horn, das nun einsetzte. Ein älterer Mann in der Reihe vor mir, zischte sehr laut: „Dora, das bist du.“ „Iiiiiich“, rief seine Frau, „das kann gar nicht sein, kein Mensch hat meine Nummer, ich weiß sie ja selbst nicht mehr.“ Der Bolero schwoll an und die Zornesfalte an der Schläfe des Mannes auch. „Mach’s endlich aus“, herrschte er seine Frau an.
Erstaunlich, wie viele Dinge sie aus der kleinen Handtasche auf seinen Schoß befördern musste, bevor sie ans Handy kam. Die Klingeltöne steigerten sich in ihrer Intensität wie der Bolero. Zügig, aber fluchend, weil das Handy trotz intensiver Drückerei nicht schwieg, bewegte sich die Frau von der Mitte der 2. Reihe zum Ausgang. Entweder bekam sie es auch draußen nicht aus oder sie traute sich nicht mehr rein.
Nach dem Konzert stand ihr Mann mit all dem Kram, den seine Dora aus ihrer Handtasche auf seinen Schoß befördert hatte, an der Garderobe. Viele schenkten dem Schwerbeladenen noch einen bösen Blick. Weil er aussah, als ob er sich wünschte, in diesem Augenblick so tot wie Ravel zu sein, flüsterte ich ihm zart wie eine der Pikkoloflöten zu: „Nicht ärgern, gegen den Bolero kommt auch kein Handyklingeln an. “ Ich bemühte mich ihn so freundlich anzulächeln, wie es vor zwei Tagen die Besucher bei meiner Lesung in einer Bibliothek getan hatten, nachdem ich nach der Begrüßung in einem forschen Ton gesagt hatte: „Ich hoffe Sie haben Ihre Handys ausgeschaltet“. Wenige Minuten danach schrillte eins los und zwar das in meiner Handtasche.
(Aus meinem Buch „Wundersames Leben – Kolumnen 2007″, S. 29)
Februar 2019